Der Fußball befindet sich in einer Krise und das nicht erst durch die aktuelle Situation rund um Corona. Das Ausmaß der grundlegenden Probleme wird dabei gegenwärtig besonders deutlich. Die zur Normalität gewordenen sieben- und achtstelligen Spielergehälter werden für manche Vereine zunehmend zum Problem. Eine finanzielle Notlage der Bundesliga wird für eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs angeführt. Die Einnahmen der Fernsehgelder sind plötzlich in aller Munde und werden als existenziell dargestellt. Wie kommt es zu dieser immensen Abhängigkeit und über welchen finanziellen Rahmen wird dabei gesprochen?
Viele Unternehmen und Selbstständige sind in der Corona-Krise durch Schließungen, Umsatzeinbrüche und Limitationen hart getroffen. Während Konzerne und größere Unternehmen zumeist Rücklagen bilden und den Betrieb aufrechterhalten können, sind unter anderem Kneipen, Friseure oder kleine Läden „em Veedel“ stärker gefährdet und existenzbedroht. Im Mikrokosmos Fußball sollte man bei den Unsummen, die komplett losgelöst von der Realität einer normalen Gesellschaft, eingenommen und ausgegeben werden, annehmen, dass durch gesundes Wirtschaften Gewinne erzielt und Rücklagen gebildet werden können.
Doch die Sprache einiger Funktionäre scheint in den letzten Tagen eine etwas andere zu sein. Es wird auf eine prekäre Lage hingewiesen, die nicht zuletzt auch mit der Konstellation der sogenannten „TV-Gelder“ zusammenhängt. Durch den aktuellen TV-Vertrag werden immerhin 1,16 Milliarden Euro an die Vereine der 1. und 2. Bundesliga ausgeschüttet. Daher kommt die Forderung, den Spielbetrieb im Rahmen von Geisterspielen wieder aufzunehmen, um eben diese Fernsehgelder einstreichen zu können, wenig überraschend. In Zeiten von Social Distancing, Maskenpflicht im Alltag, Reiseverboten und weitreichenden Einschnitten in die Grundrechte der Bürger, soll nun die Bundesliga wieder starten. Mit Geisterspielen. Ohne Fans.
Wie schon bei der fortschreitenden Spieltagszerstückelung steht der Profit über allem. Samstag 15:30 Uhr wird mehr und mehr zum Mythos. Die neun Bundesligapartien eines Spieltags werden je nach Beteiligung der Europokalteilnehmer auf bis zu vier Tage verteilt. Für die 2. Bundesliga gilt dasselbe, wohl gemerkt in der Regel ohne internationale Beteiligung. Durch die steigenden Sendezeiten und erhöhten Möglichkeiten Rechte zu vermarkten und Geld einzunehmen, ist final der Fußballfan der Leidtragende.
Die Abhängigkeit von den Fernsehgeldern, um als Verein überleben zu können, ist ein mehr als besorgniserregendes Zeichen. Die Fernsehgelder werden auch kommende Saison weiter steigen. Ausgeschüttet werden 1,4 Milliarden Euro für die ersten zwei Spielklassen. Damit hat sich die Summe innerhalb von 5 Jahren verdoppelt. In diesem Zusammenhang kann man wohl damit rechnen, dass die finanzielle Kluft zwischen den sogenannten „Top-Clubs“ und den restlichen Vereinen der ersten Bundesliga noch größer wird als sie ohnehin schon ist. Dies trägt sicherlich nicht zur Integrität des Wettbewerbs bei und wird am Ende der Debatte eher dafür sorgen, dass der Fußball an Attraktivität einbüßen wird.
Die Kriterien, nach denen der Fernsehgeldtopf unter den 36 Vereinen der 1. Und 2. Bundesliga aufgeteilt werden, setzen sich im Löwenanteil aus den sportlichen Erfolgen der Vereine zusammen. Wer dachte, dass Zuschauerzahlen, Einschaltquoten oder die Attraktivität von Bundesligapartien Berücksichtigung finden, liegt falsch. Zunächst erhalten die Bundesligisten pro Saison pauschal 20 Millionen Euro, bei den Zweiligisten sind es immerhin noch fünf Millionen Euro. Die verbliebene Summe wird mittels eines festen Schlüssels an die Vereine ausgeschüttet.
70% dieses Geldes fließen mit der Zuhilfenahme einer Fünf-Jahres-Wertung an die Vereine. Platzierungen, die die Clubs in den letzten fünf Jahren erzielen konnten, werden so mit dem größten Anteil aus dem Fernsehgeldtopf honoriert. Während dies gestandenen Bundesligisten und Teams, die in diesem Zeitraum überdurchschnittlich erfolgreich waren, zu Gute kommt, bedeutet es für Aufsteiger und Liga-Neulinge erst einmal einen nicht unerheblichen finanziellen Nachteil gegenüber eben diesen Bundesligisten. Die Durchlässigkeit in Richtung Spitze im Deutschen Fußball ist somit zumindest eingeschränkt.
Von den restlichen 30% der TV-Gelder werden 23% entsprechend der Platzierung in der laufenden Saison ausgeschüttet. Weitere 5% belohnen die Nachhaltigkeit der Vereine, wozu eine 20-Jahres-Wertung bemüht wird. Die letzten 2% werden für Einsatzzeiten von U23-Spielern vergeben, was grundsätzlich einen guten Gedanken darstellt. Erst einmal freut sich ein jeder Fan darüber, Talente aus dem eigenen Nachwuchs spielen zu sehen. Darüber hinaus bekräftigt dies die Förderung der eigenen Jugend.
Um dem Wahnsinn der exorbitant hohen Transfersummen entgegen zu wirken, wäre es weiter von Vorteil, die Einsatzzeiten von Spielern generell aus der eigenen Jugend zu fördern, auch für Spieler Ü23. Grundsätzlich ist es ein guter Ansatz, die Jugendarbeit der Vereine zu belohnen. Dennoch bleibt hier zumindest ein Fragezeichen. Obwohl die Nachwuchsarbeit hier zu Lande in aller Munde ist, wird sie lediglich mit 2% des Fernsehgeldtopfs belohnt. Dies stellt maximal eine „nette Geste“ dar. Wird bedacht, dass die Förderung der noch nicht mit Millionen überschütteten Kicker tatsächlich noch in den Händen jedes Vereins zu liegen scheint, wäre eine stärkere Bezuschussung im Sinne der Chancengleichheit sinnvoll.
Wie bereits anklingt, spielt die Attraktivität von Bundesligapartien eine untergeordnete Rolle im System. Dabei sind es doch gerade, neben den sportlich brisanten Spielen, die hitzigen und emotionalen Spiele, die einen Fußballfan vor den Apparat treiben. Es sind die Derbys, die Partien der traditionell verankerten Bundesligisten, die Nord-Süd- oder Süd-West-Schlager, aber auch die Partien von Aufsteigern oder Neulingen, die Interesse und Begeisterung wecken. Dass die Faktoren Begeisterung und Attraktivität in dieser Maschinerie überhaupt keinerlei Berücksichtigung finden, ist mehr als kritisch zu hinterfragen. Generell ist es schwer oder vielleicht sogar unmöglich, Begeisterung in Zahlen auszudrücken. Als Indiz für Lust und Leidenschaft kann die Auslastung der Stadien herangezogen werden. Da hier jedoch primär die Vergabe von Geldern aus dem Fernsehtopf thematisiert wird, werfen wir zusätzlich einen Blick auf die TV-Zuschauer, die dem jeweiligen Verein im Durchschnitt die Daumen drücken. Werden Auslastung der Stadien und TV-Zuschauerschnitt genauso tabellarisch aufgelistet wie die Vergabe der Fernsehgelder, kann folgendes festgestellt werden: Unter den Top 5 Verdienern aus dem TV-Topf finden sich zwei Vereine wieder, die gemessen am TV-Zuschauerschnitt auf Platz 12 und 13 liegen und sich betreffend Stadionauslastung auf Platz 14 und 15 wiederfinden. So erhalten diese Teams auf Grund ihres sportlichen Abschneidens hohe Summen, obwohl sich eigentlich niemand für sie interessiert, während Traditionsvereine, die für volle Stadien und hohe Einschaltquoten sorgen, weit weniger erhalten. So entsteht ein immer größer werdendes finanzielles Gefälle zwischen den Teams.
Wie bereits erwähnt, stellen Zahlen keine messbare Größe für Begeisterung dar, dennoch könnten diese Zahlen zumindest zu denken geben, bei der Vergabe von TV-Geldern neben den sportlichen Leistungen auch weitere Kriterien miteinzubeziehen. In anderen Ligen Europas gibt es seit Jahren schon alternative Ansätze. Beispielsweise erhalten in Frankreich die Vereine, die in großen Zahlen von ihren Fans zu den Auswärtsspielen begleitet werden, zusätzliche Mittel aus dem Fernsehgeldtopf. Auch wenn die Ungerechtigkeit der Verteilung damit nicht zwangsläufig vom Tisch wäre, ist hier zumindest ein Lösungsansatz erkennbar.
Offiziell herrscht ein Solidarprinzip, wodurch die TV-Gelder gerecht und eben fair verteilt werden sollen. Nur wie solidarisch kann dieses Prinzip beim Status Quo sein? Mit den bereits erwähnten 1,16 Milliarden Euro könnte man nicht nur einen ausgeglichenen Wettbewerb unterstützen, sondern auch die unrechtmäßig vorhandenen Vorteile der Vereine, für die die 50+1 Regelung nicht zu gelten scheint, abmildern. Stattdessen jammert der ein oder andere Funktionär von Spitzenclubs sogar rum, weil man einen noch größeren Teil des Kuchens einsacken will und dabei auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit pocht. Nur weil andere Ligen bereits einem massiven Ausverkauf zum Opfer gefallen sind, müssen nicht auch im Deutschen Fußball alle moralischen und solidarischen Gedanken über Bord geworfen werden.
Vereine unterhalb der ersten beiden Ligen, finden in der Vergabe von TV-Geldern dabei kaum Berücksichtigung und haben daher jetzt schon „verloren“, sofern die Saison wirklich unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgesetzt werden sollte. Die festen TV-Einnahmen der Drittligisten belaufen sich auf 842.000 Euro, wobei bereits eine Aufstockung der Einnahmen durch Partner des DFB inkludiert ist. Dies verdeutlicht das enorme finanzielle Ungleichgewicht. Das sportliche Fundament der Profiligen hat ein massives Problem, da dieser Unterbau finanziell am Abgrund steht. Bereits in der „stärksten 3. Liga aller Zeiten“ bestehen massive finanzielle Probleme. Um an der lukrativeren 2. Bundesliga teilnehmen zu können, müssen Clubs zum Teil unüberschaubare finanzielle Risiken eingehen, wodurch Vereine wie Erfurt, Chemnitz oder der FSV Frankfurt schlussendlich sogar Insolvenz anmelden mussten. In der vierten Liga gibt es einige Vereine, die sich den Aufstieg nicht leisten können. Die so wichtige Durchlässigkeit der Ligen nach oben ist nicht mehr wirklich gegeben.
Das Problem des deutschen Profifußballs ist wie so oft ein hausgemachtes und durch die Pandemie mittlerweile nicht nur für uns sichtbar geworden. Wir fordern daher zukünftig eine gerechte Verteilung der Fernsehgelder!